Composer in Residence: Bernd Alois Zimmermann
Einen Komponisten, der vor fast einem halben Jahrhundert verstorben ist, zum Composer in Residence eines Festivals zu erküren, mag denn doch höchst unangebracht sein, und auch der Grund, dass sein 100. Geburtstag ansteht, dürfte da kaum ausreichen. Aber immerhin, so muss man einwenden, gibt es nur wenige, die sich so intensiv mit der Zeit und der Unzeit auseinandergesetzt haben wie dieser hier: Bernd Alois Zimmermann (1918–1970). Das Thema hat ihn zu völlig neuen Konzeptionen geführt, wirft aber auch einen dunklen Schatten auf sein Leben. Nicht nur, dass er an seiner Zeit, am Weltkrieg, vor allem aber am Kalten Krieg und der atomaren Bedrohung verzweifelte; er startete bereits unzeitig in seine Komponistenlaufbahn: Als er aus dem Krieg zurückkehrte, fand er zwar Arbeit als Musiker, fühlte sich aber unfertig und studierte weiter. Und als er sich schliesslich wohlgerüstet zu seiner Karriere aufmachte, drängten ein paar jüngere Kollegen wie zum Beispiel Karlheinz Stockhausen ans Rampenlicht. Zimmermann, der älteste der jungen Generation, wie er sagte, kam sich so früh schon unzeitgemäss vor.

Aber vielleicht war gerade das seine grosse Chance. Er versuchte gar nicht im avantgardistischen Innovationszirkus mitzumischen, und er erinnerte sich auch stets jener Musiken, die in der Avantgarde démodé waren: Strawinsky etwa oder der Jazz. Zwar interessierte er sich brennend dafür, was Neues entwickelt wurde, er saugte es auf, diskutierte es, aber er setzte es auf seine Weise ein, gezielt auf die Themen hin, die ihn zutiefst beschäftigten. Im Zentrum stand die Auseinandersetzung mit seiner kriegerischen Epoche, aber auch mit dem Unrecht auf der Erde. Der Katholik aus Köln hintersann gerade die Rolle des Christentums und der Kirche in unserer Zeit auf engagierte Weise.

Ein alttestamentlicher Text, der Prediger Salomo, durchzieht sein ganzes Œuvre wie ein Leitmotiv. Und als Prediger in der Wüste mag er sich manchmal gefühlt haben, unverstanden von den Zeitgenossen. Aber die Wirkung seiner Musik, die bis heute anhält, gibt ihm schliesslich recht.

Er selber meinte, er sei «widerborstig» und zwischen die Stühle geraten, und er bezeichnete sich auch als «eine sehr rheinische Mischung von Mönch und Dionysos». Ja, auch das: Seine Musik ist enorm sinnlich und (wenn auch nicht immer gleichermassen) unmittelbar zugänglich. Spürbar ist die Liebe zum Theater, zur Literatur und zur Inszenierung auch von Musik. Als einer der ersten begann er verschiedene Stile zu verbinden, den Jazz etwa mit der Zwölftontechnik, er arbeitete mit Zitaten, collagierte alles und entwarf das Bild von einer «Kugelgestalt der Zeit», in der unterschiedliche Zeitebenen eben gleichzeitig präsent sind. Und in diese Zeitkugel gerät nun auch das Musikfestival Bern, wo
unterschiedliche Zeitmodi, gemessen, gedehnt, gestaucht, unterschiedliche Rhythmen und Tempi, aber auch unterschiedliche Generationen und Epochen aufeinandertreffen.